Als Detlef Mai den Nachlass seines Vaters aufarbeitete, fand er in einem der vielen Foto-Tagebücher im Album 3 eine Widmung, die an ihn gerichtet war:
„Meinem Sohn Detlef, damit er sich selbst ein Bild von der Sinnlosigkeit eines Krieges machen kann und daraus lernt Menschenwerte zu erhalten, statt zu vernichten!“
Karl Heinz Mai wusste, wovon er sprach. 1920 geboren, gehörte er zu der Generation, die die Hauptlast des Zweiten Weltkrieges trug. 1939 mit gerade einmal 19 Jahren erhielt er die Einberufung zum Kriegsdienst. 1941 wurde er schwer verwundet und verlor beide Beine. Fortan konnte er sich nur noch im Rollstuhl, einem sogenannten „Selbstfahrer“ mit Muskelkraft fortbewegen. Es zeugt von persönlicher Stärke und Willenskraft, dass er sich trotz größter Einschränkungen, dem Verlust der elterlichen Wohnung beim schwersten Bombenangriff auf Leipzig, dem Wegfall seiner beruflichen Entwicklung, selbstbestimmt durchsetzte, das Beste aus seinem Schicksal machte und sich der Fotografie widmete.
Einige der heute existierenden Publikationen nehmen auf dieses Schicksal Bezug. Der Fotohistoriker Dr. Diethard Kerbs, der die Bedeutung der Arbeit von Karl Heinz Mai als einer der ersten erkannte, veröffentlichte 1985 in seiner viel beachteten Fototaschen-Buchreihe im Dirk Nissen Verlag, Berlin, Fotografien aus Leipzig von 1945 - 1950 unter dem Titel „Anfangsjahre“. Den ersten Bildband “Reporter des Alltags” hat der Enkel Andreas Mai 2012 mit einem Vorwort von Bernd-Lutz Lange bei Pro Leipzig herausgegeben. Das neueste Buch von 2019, im Lehmstedt Verlag anlässlich des 100. Geburtstages des Fotografen erschienen, nimmt auf seinen „Selbstfahrer“ Bezug: „Reporter auf drei Rädern“.
In über 300 Ausstellungen wurden seine Bilder gezeigt, in fast 200 Büchern befinden sich Fotografien von ihm. Ein 30-minütiger Dokumentarfilm war insgesamt drei Jahre in der ARD-Mediathek, denn auch bei Film und Fernsehen gab es Nutzungen seiner Fotografien.
In diesem Selbstfahrer lernten ihn auch die meisten seiner
Porträtierten kennen. Kinder, Trümmerfrauen, Familien, Paare, Berufstätige,
Obdachlose und alte Menschen. Und auch wir können heute in jedem Bild seine
kriegsbedingte Einschränkung erkennen. Er konnte nur eine Perspektive
einnehmen. Die eines Sitzenden. Umso wichtiger die Erkenntnis, dass dies die
Qualität seiner Bilder in keiner Weise beeinträchtigte, sondern unbewusst zu
seinem Markenzeichen wurde.
Karl Heinz Mai starb viel zu früh im Jahre 1964. Die Kriegsverletzung gilt als Ursache für seinen Tod mit gerade einmal 44 Jahren.